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Isabell

Angst, Vertrauen und Mut

Aktualisiert: 14. Aug. 2023

Über die Angst, das Vertrauen und den Mut - am Gletscher und im Leben.

Was ist Angst? Was ist Vertrauen?

Braucht es Mut?


Ich öffne "Das Buch der Gefühle" von Tiffany Watt Smith und finde ein Zitat vom dänischen Philosophen Søren Kierkegaard:

"Angst ist der Schwindel der Freiheit." Søren Kierkegaard

Ich empfinde es stimmig und denke an meine Hochtouren Ausbildung im Großglockner Gebiet zurück. Tags bevor die Gletscherspaltenbergungen geübt wurden, spürte ich wohl ganz sicher diesen Schwindel der Freiheit. Als ich mich dann wirklich angeseilt in der Gletscherspalte befand, fühlte ich bei der Selbstrettungstechnik, auch Münchhausentechnik genannt, wie befreiend und bestärkend es ist, dass ich mich mit meiner Angst auseinander gesetzt habe. Nicht nur zu spüren, da ist Angst, sondern eben auch zu wissen was mache ich in der Situation, ist mir ein lebensnotwendiges Werkzeug beim Begehen von Gletschern geworden. Dem Alpenverein mit seinen Ausbildungsangeboten sei Dank!

Vom Berg zurück im Tal: Eine herausfordernde Lebenssituation zeigte mir auf, da gibt es eine Angst, der ich mir bis jetzt wohl nicht bewusst war. Ich wache eines nachts auf, bin total verwirrt und fühle mich wie gelähmt und benommen. Das Gefühl alleine zu sein und gleichzeitig eine tiefe Angst zu spüren, ist schrecklich. Erst am nächsten Tag kann ich Tränen weinen und meine Angst zuordnen. Die Anspannung in mir wird leichter, mit jeder Träne. Etwas in mir wird weich(er). Fast so wie die Pasterze vor der Oberwalder Hütte. So traurig dieses Szenario des Gletscherschwunds ist, spüre ich tiefes Mitgefühl mit dem Eis, das zu Wasser schmilzt.

"Angst ist immer ein Signal, aufmerksam zu sein." Stefanie Höhl

Aber was nun tun mit der Angst? Katharina Wissmann, Traumatherapeutin in der Schweiz schreibt "Um das Wesen der Angst als Kraft zu erfahren, brauchen wir Mut um uns in unbekannte Bereiche vorzuwagen."

Ist meine Angst in der Nacht eine reale? Oder triggert mich etwas, das ein altes Gefühl reaktiviert? Ich gehe am nächsten Abend lange an die frische Luft und bringe am Weg meinen Müll weg. Ein Ritual, das mir mein Patenonkel mitgegeben hat: Leere von Zeit zu Zeit deinen Mülleimer wie deinen Kopf mit seinen vielen Gedanken. Nach wenigen Minuten und ein paar Schritten an der frischen Luft ist mir leichter und ich spüre mich körperlich besser. Müde falle ich ins Bett und schlafe tief. Die nächsten Tage versuche ich meine Erfahrungen von der Hochtouren Ausbildung mit jenen von zuhause zu verknüpfen. Ein wichtiger Knoten, den es auf einer Hochtour zu wissen gibt, ist der Prusikknoten: Ein Klemmknoten zur Selbstsicherung und Rettung am Fixseil. Er wird im Falle eines Gletschersspaltensturzes bei der Selbstrettung mittels einer Reepschnur am Fixseil geknotet. Der Knoten lässt sich ohne Zug verschieben und hält einem unter Zug.

Ich frage mich: Gibt es einen Knoten für meine Angst? Kann ich meine Angst vielleicht auch an ein sicheres Seil anbinden und mich selbst aus der Spalte "prusiken"?

Ich suche eine Reepschnur in meinem Kopf und das Fixseil. Wer oder was kann mich halten?

Aber bin ich denn alleine? Auf einer Hochtour bestmöglich nicht. Man geht in Seilschaft. Bei solchen Unternehmungen ist der Mannschaftszug eine Technik, die angewandt wird, wenn mehr als 3 Leute gemeinsam am Seil auf dem Gletscher unterwegs sind und eine/r in eine Spalte stürzt. Eine schnelle und technisch einfache Rettung durch die Gruppe. Ist man in einer 2er oder 3er Seilschaft unterwegs, brauchts das Wissen um die Lose Rolle, eine Art Flaschenzug. Diese erfordert mehr Kenntnis und damit für mich auch Vertrauen in die PartnerInnen am Seil, die wissen müssen was im Ernstfall zu tun ist. Beides sind Techniken, wo der oder die Gestürzte in der Gletscherspalten von den anderen gerettet werden. Wie kann ich das ins Leben integrieren?

"Der beste Weg herauszufinden ob du jemand vertrauen kannst, ist ihm zu vertrauen." Ernest Hemingway

Ernest Hemingway bringt mich auf eine Idee. Hinausgehen und behutsam sich (an)vertrauen. Ein gemeinsames Mittagessen mit einem guten Freund. Ein Telefonat mit meiner einfühlsamen Schwester. Eine tröstende Umarmung von meiner herzlichen Nachbarin. Ein zoom Gespräch mit einer lieben Freundin in der Ferne. Die lose Rolle bekommt ein neues Anwendungsgebiet in meinem Leben im Tal. Ich für mich spüre, dass ich nicht unbedingt eine ganze Mannschaft/Frauschaft dazu brauche. Einzelne, mir wichtige und vertrauensvolle Menschen tun schon wohl und geben Halt.


Ja, es tut gut sich seinen Mitmenschen anzuvertrauen und zu wissen, dass man nicht alleine ist. Sich dem Gefühl von "Getrennt-sein" entziehen.


Aber ich übe immer wieder auch die Selbstrettung mit meiner eigenen Reepschnur.

Ein Sein mit mir in der Natur. Im Wasser. Am Berg. Im Wald. Am Rad. Ein gutes Essen. Selbst gekocht Zuhause. Bekocht im Lokal.

Ruhe. Mich auch selbst zu beruhigen. Aber es braucht dazu immer wieder Mut.

Mut in mich zugehen - Mut hinauszugehen.

Mut auszuhalten - Mut zuzugehen. Mut da zu sein - Mut sich zu zeigen.

Adolph Kolping, deutscher Schuhmacher und Priester, meinte: "Der Mut wächst immer mit dem Herzen..." Ich lasse mich inspirieren und schicke meinen Satz in die Welt:

"Der Mut wächst mit dem Vertrauen im Herzen."

In sich. In andere.

Dass wir immer wieder mit Mut und Vertrauen im Herzen dem Leben entgegen gehen. Behutsam. Achtsam. Stark.


Mit herzlichen Grüßen und einem Prusikknoten im Kopf,

Isabell



 

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