Was mir eine Reise nach Nepal lernte. Ein Reisebericht.
Ich sitze zuhause auf meinem Balkon in Wien und blicke in den Himmel. Der selbe Himmel wie jener vor genau vier Wochen, als ich noch in Nepal war.
Eine andere Welt dort. Eine andere Welt hier.
Aber doch die gleiche.
Viele Erfahrungen auf der Reise in eines der ärmsten Länder der Welt lassen mich jetzt Dinge in meiner Welt anders sehen und fühlen. Dass man manchmal einfach weit weg muss, um sich der eigenen Welt wieder klarer und bewusster zu sein, kann ich aus meiner Zeit in Nepal durchaus sagen.
Ich versuche mich hier an Themen anzunähern, die es mir Wert sind mit der Welt zu teilen. Die Hälfte der nepalesischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Doch ist Nepal deshalb ein "armes" Land? Das Land im Herzen des Himalayas, in dem über 70 Völker leben und 50 verschiedene Sprachen gesprochen werden, ist "reich" an Kultur. Oben drauf erheben sich hier acht der 14 höchsten Gipfel der Welt und die Menschen im Land runden mit ihrer Herzlichkeit das Ganze ab. Ich sehe mit meinen Augen viel Reichtum.
"Wer keine Zeit hat, ist ärmer als ein Bettler." Sprichwort aus Nepal
Aber keine Frage, es gibt Armut: Als ich in Nepals Hauptstadt Kathmandu, in der knapp 1 Million Menschen im Stadtgebiet wohnen, herumspaziere, kann ich durchaus beobachten, dass es hier für manche nicht einfach ist zu (über)leben. Viele Menschen, laute Mopeds, Staub in der Luft, Obdachlose die im Schatten ruhen. Dennoch freundliche Blicke, frisches Obst und Gemüse an den Straßenständen und Gebetsfahnen soweit mein Auge sieht.
Ich bin verwirrt. Es schaut alles nach Chaos aus, und doch wirkt es als würde hier das Leben trotzdem "funktionieren". Und das tut es. Anders eben.
An den Busstationen gibt es keine Fahrpläne, vielmehr schreien Männer aus den Bussen wohin dieser fährt. Abends muss ich in den Gassen aufpassen, dass ich im Mopedgehupe nicht meinen Gehörsinn und die Geduld verliere und morgens sehe ich Menschen um Stupas pilgern, immer wieder ihre Gebetsmühlen drehend. Es ist alles irgendwie so anders. Aber das Leben hier lebt sich. Ich esse immer wieder in einer kleinen Hütte, die von außen wie eine offene Garage aussieht. Das Essen ist einfach. Momos (nepalesische Teigtaschen) oder was gerade da ist: Gemüse, Reisflocken, Kartoffeln. Die Frau kocht gemeinsam mit ihrem Mann mit Leidenschaft und Liebe und trägt jeden Tag ein anderes farbenfrohes Kleid. Morgens, wenn ich vorbei spaziere räuchert sie ihr "Lokal" und lächelt mir zu.
Ich bin berührt. Von dieser Einfachheit.
"Liebe tief und leidenschaftlich." Aus Nepal
Aber Blicke ich hier wahrlich durch? Sind die Menschen hier in Nepal glücklich(er)? Oder sind sie in erster Linie zufrieden(er) mit dem was sie haben.
Ich sitze morgens immer am Dach meines Guesthouses und genieße den betenden Gesang der Mönche. Blicke über die Dächer der Stadt, aber sehe nicht viel in der Ferne. An vielen Tagen braucht man viel Fantasie die umliegenden Berge zu erahnen. Kathmandu hat ein großes Problem mit der Luft und zählt zu einer der am stärksten verschmutzten Städte der Welt, was vorwiegend dem Verkehr zugeschrieben wird. Auch mir fällt nach Tagen in der Stadt das Atmen schwer. Zurück in Wien. Ich atme frische Luft. Höre ein paar Autos in der Ferne. Dafür Vogelgezwitscher aus den Bäumen im Garten neben mir. Ich fühle mich dankbar hier zu sein. Hier in einer Stadt mit guter Luft und ruhigen Orten.
Tagsüber mit dem Fahrrad beruflich meine Wege machen zu können. In Kathmandu würde ich wohl mit dem Rad auf den stark befahrenen asphaltierten Straßen nicht lange fahren wollen und die Wege dazwischen würde mein Rennrad wohl nicht lange mitmachen. Trotzdem erlebe ich in Nepal neben dem mir Unangenehmen viel Schönes. Naturschauplätze und Begegnungen bei denen mir das Herz aufging.
Vor einem 7000 m hohen Berg zu stehen und zu spüren: Wie klein bin ich Mensch eigentlich.
Im kalten Gletscherbach zu baden und mich so lebendig zu fühlen.
Vorm Feuer in einer Hütte zu sitzen und mich zu wärmen.
Am Morgen mit "Namaste" und einen warmen Tee von einer herzlichen Frau in ihrem traditionellen Kleid begrüßt zu werden.
"Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." Antoine de Saint-Exupéry
Mit Kindern zu spielen, die nicht viel haben und dennoch Begeisterung und Freude zu spüren.
Auf 5000 m Höhe langsam zu gehen, weil mein Körper die dünne Luft spürt und mehr Sauerstoff braucht.
In einer kleinen Hütte das Abendessen bei Kerzenschein serviert zu bekommen.
Nach 7 Stunden Busfahrt (für 200km!) auszusteigen und zu sagen: Ich bin angekommen.
„Hundert göttliche Zeitalter reichen nicht aus, um alle Wunder des Himalaya zu beschreiben.“
Nach vier Wochen bin ich wieder zuhause angekommen. Und ich bin dankbar hier zu sein. Zuhause.
Es fühlt sich geordnet, sauber und klar an hier. Gleichzeitig spüre ich den Überfluss von Werbung, die Überforderung der Auswahl der Lebensmittel in den Supermärkten und merke, dass ich Gesprächen mit für mich nicht mehr so "wichtigen" Dingen weniger Aufmerksamkeit schenken kann.
Etwas hat sich verändert in mir. Sehe ich meine Welt anders? Langsam kommt die Frage auf: "Wozu war diese Reise?" Mir fällt das Buch "Wozu das alles?" von Christian Uhle in den Schoß. Seine philosophische Reise zum Sinn des Lebens, kommt mir gerade Recht.
Was gibt meinem Leben Sinn? Und was macht keinen Sinn mehr für mich? Was ist mir wichtig, was erfüllt mich?
Ich beginne im Buch zu lesen und mich gleichzeitig selbst zu beobachten: Was schätze ich an meinem Leben hier? Was macht mich glücklich?
Ich spüre Freude an meinem beruflichen Tun; bin dankbar um jede menschliche Begegnung in der Bewegung mit Menschen.
Ich spüre Freiheit, wenn ich am Rennrad durch die Stadt flitze.
Ich spüre Lebendigkeit, wenn ich im Wasser des Hütteldorfer-Bades schwimme.
Ich spüre Dankbarkeit, wenn ich fließendes Wiener Hochquellwasser aus der Leitung trinke.
Ich spüre Wärme, wenn ich unter warmen Wasser abends dusche.
Ich spüre Frische, wenn ich morgens am Balkon tief atme.
Ich spüre Geborgenheit, wenn ich mir vertraute Menschen mein Herz öffne.
Und trotzdem wollte ich weg. Wozu?
Ich brauchte das Weggehen um das Wesentliche wieder sehen zu können.
Die Dinge anders zu sehen. Wert zu schätzen. Und dabei auch zu erfahren, dass es anders geht. Was man von der anderen Welt selbst braucht, das ist wohl Geschmackssache.
Ich nehme mir durchaus ein wenig Chaos aus Nepal mit. Gelassenheit, wenn das Chaos 'gefühlt' übergeht und derweil doch irgendwie seinen natürlichen Weg findet. Und ganz viel Herzlichkeit und Genügsamkeit. Weil es einfach nicht viel braucht um glücklich zu sein.
Ich denke an die Frau in der Hütte, die mich morgens mit einem Lächeln begrüßte und wünsche mir, dass wir alle solch Herzlichkeit an den Tag legen.
Namaste,
Isabell
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