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Fühlen und Reden am Berg

Gedankenanstöße rund um Gefühle und Kommunikation am Berg. Inspiriert von einem Skitourenwochenende am Dachstein und dem Dialog mit Bergsteiger und ehrenamtlichen Tourenführer Robert Vondracek.

Ein Skitourenwochenende mit zwei Freunden und meinem Partner am Dachstein liegt hinter mir. Ich spüre es wirken nicht nur die Anstrengung aufgrund starken Windes und Sonneneinstrahlung am Gletscher körperlich nach, sondern es schwirrt auch ein Thema im Kopf herum, das mich nicht loslässt.

Haben wir genug miteinander geredet? Nicht nur über Tourenplanung, Wetter, Lawinensituation sondern auch darüber wie es uns geht bzw. gegangen ist.

In der Gruppe selbst bin ich schon über Jahre, mit manchen schon über 10 Jahren, leidenschaftlich am Berg unterwegs. Ich spüre große Dankbarkeit und Wertschätzung jedem einzelnen gegenüber. Bis jetzt hatten wir viel Glück mit dem Wetter und den Bedingungen im Schnee, am Fels...

Diesmal befanden wir uns aber in einer Situation in der die Bedingungen im Außen nicht ganz so reibungslos waren: Aufgrund von überraschend schlechtem Wetter und plötzlich aufkommenden starken Wind mussten wir kurz vor der Kletterpassage zum Gipfel zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen: Was tun? Wir fanden schnell zu einer überraschenden Klarheit: Wir gehen nicht auf den Gipfel. Das war gut und sinnvoll.


Trotz alldem frage ich mich im Nachhinein, wie hat sich jeder einzelne dabei gefühlt? Was können wir aus dieser Situation für weitere Bergtouren lernen und mitnehmen? Ist jeder von uns noch in seiner Komfortzone gewesen oder bereits darüber hinaus? Hätten später auch noch sagen können, wir lassen es gut sein?

Oder wäre es sinnvoller gewesen, früher umzudrehen?

Ja, ich hinterfrage die Dinge gerne. Gerade dann, wenn ich das Gefühl habe, dass ich daraus was lernen kann. Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass jeder die Dinge geistig und körperlich anders wahrnimmt.

"Erfahrung ist eine verstandene Wahrnehmung." Emanuel Kant

Einer in der Runde fror bereits, was ich erst Tage später erfuhr. Der andere fühlte sich körperlich nicht ganz wohl an diesem Tag, was später in der Hütte ausgesprochen wurde. Ich war im Kopf hoch motiviert und wollte eigentlich noch weiter gehen, sprach dies aber nicht aus. Der vierte in der Runde, verhielt sich sehr pragmatisch und meinte: Dann soll es eben heute nicht sein.

Ich sehe die Erfahrung am Dachstein als Anlass mich mit dem Thema näher zu beschäftigen.

Wie wichtig ist es in den Bergen miteinander zu reden? Sich zu zeigen, was er oder sie fühlt?


Ich treffe Robert Vondracek. Er ist leidenschaftlicher Bergmensch und führt ehrenamtlich viele Touren im Gebirgsverein.

Ich frage ihn, ob es denn für ihn als Tourenführer hilfreich ist, wenn die Teilnehmer/innen ihm rückmelden wie es ihnen geht? Seine Antwort: "Ja, unbedingt. Hilfreich sind sie vor allem dann, wenn sie rechtzeitig kommen, man noch einen Entscheidungsspielraum hat und man entsprechend reagieren kann."

Robert führt jährlich viele Touren und ist auch privat viel in den Bergen unterwegs. Er stimmt mir zu, dass Miteinanderreden wichtig ist und formuliert seine Antwort mit Feingefühl, wenn es um private Unternehmungen geht: "...schon alleine um mit der Gefühlswelt des Partners oder der Partnerin besser umgehen zu können." Das finde ich als Mensch, die gerne Gefühle zeigt und darüber reden will, sehr wertvoll und ich schmunzle in mich hinein bei seiner ehrlichen Antwort.

"Versuch’ doch bitte, durch meine Worte hindurch zu hören bis zu den Gefühlen, die wir gemeinsam haben." Ruth Bebermeyer

Immer wieder führe ich Gespräche mit meinem Partner, mit dem ich viel und gerne in den Bergen bin, dass es eben nicht nur die Bergwelt gibt sondern auch eine Gefühlswelt.

„Die Berge, die es zu versetzen gilt, sind in unserem Bewusstsein." Reinhold Messner

Und Gefühle dürfen auch im festen Massiv der Berge Platz finden. Unser Körper ist zerbrechlich und dessen dürfen wir uns immer wieder in Erinnerung rufen. Selbst wenn David Lama, Sportkletterer und Alpinist, der im April 2019 bei einem Lawinenabgang ums Leben kam, im Film "Luang Ri" den Filmmann antwortete:

"Was willst du mit Gefühle? Ich bin beim Bergsteigen!" David Lama

Ich bleibe meiner Ansicht treu, dass Gefühle am Berg Platz und Raum einnehmen dürfen. Und David Lama gibt nach seiner Besteigung alleine auf den Lunag Ri dann doch Preis, dass das Sein am Berg nicht mit einem einzigen Gefühl verbunden werden kann, sondern dass es 100.000 Gefühle sind. Er hatte also doch Gefühle am Berg!


Zurück zum Reden am Berg.

Im privaten Bereich in den Bergen soll im Idealfall ein Gespräch auf Augenhöhe geführt werden. Bei geführten Touren ist die Verantwortung beim Tourenführer. Robert meint dazu: "Wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin, kann/darf/soll ich mir zwar die Meinungen der Geführten anhören, entscheiden muss ich aber ganz alleine und selbstverantwortlich." Er trägt die Verantwortung. Nach jeder Tour macht er eine Feedbackrunde, bei der auch immer persönliche Empfindungen zur Sprache kommen.

Ich reflektiere meine Bergtouren im privaten Umfeld der letzten Jahre und frage mich, warum man das nicht auch mit Bergfreunden macht? Gemeinsam in der Hütte nochmal über die Tour zu sprechen. Gerade in einer vertrauten Atmosphäre wo ich mich dem Gegenüber auch zeigen darf und soll.

Mir kommen ein paar Momente vom Wochenende am Dachstein in den Kopf und der Spruch "Man kann nicht nicht kommunizieren." von Paul Watzlawick fällt mir dazu ein. Oft spricht der Körper mehr als wir uns getrauen zu denken.

"Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare." Christian Morgenstern

Umso wertvoller ist dann mit Gefühl zu fragen "Wie geht es dir gerade?" oder womöglich auch "Sag, sollen wir mal eine Pause machen?"

Wahrscheinlich hab auch ich das oft verabsäumt. Vielmehr trieben Gedanken mich an: "Der Gipfel ist ja nicht mehr weit." "Ich will jetzt nicht die einzige sein, die eine Pause braucht." "Wenn ich jetzt nochmal sage, ich brauch eine Pause, was denkt denn er/sie über mich?"

"Beiß durch, gleich hast du es geschafft."

Ausreden im Kopf gibt es genug.


Natürlich gibt es auch Situationen wo es sinnvoll ist Ausdauer in die Tour zu legen, wenn das Wetter umschlägt, die Dunkelheit hereinbricht oder am Nachmittag ein Unterwegssein am Gletscher gefährlich wird - aber: Es soll immer einen Moment geben um zu sagen was der Körper jetzt braucht.

"Worte können Fenster sein."

Johann Wolfgang von Goethe sagte "Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler". Ich würde Goethe gerne fragen ob er denn viel in den Bergen unterwegs war und wie er das genau meint. Denn aus meiner Erfahrung brauchts oft das Reden am Berg mehr denn je. Besonders dann, wenn der Berg einen mehr abverlangt als das Leben im Tal. Und der Berg spricht auch, wenn man genau hinhört. Vielleicht nur in einer anderen Sprache, als wir Menschen. Darum lasse ich mich von Goethes Worten inspirieren und sage:

"Berge sind Meister einer fremden Sprache und freuen sich, wenn die Menschen diese lernen."

In diesem Sinne schicke ich Mut und Inspiration übers Fühlen und Reden in den Bergen in die Welt.


Herzlichst,

Isabell



 

Lesetipp


Filmtipp:


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- Herzliche und gemütliche Übernachtungsmöglichkeit am Dachsteinplateu: Wiesberghaus – Wiesberghaus am Dachstein

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