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  • Isabell

Vom allein zum all-ein

Was ich auf einer Skitour vom Nebel, der Dunkelheit, der Sonne und der Helligkeit in mir beobachte und lerne. Inspiriert von Hermann Hesse.

Der Schnee knirscht unter meinen Skiern und ich stampfe gemeinsam mit meinem Partner durch das Tal im Nebel. Kaum Sicht, kaum Weitblick und in mir ein Gefühl von Verschwommenheit in den Augen. Nicht weit sehen zu können, nicht klar zu sehen und keinen Ausblick zu haben - Umstände, die ich nicht wirklich als angenehm empfinde. Trotzdem gehe ich weiter, mit einem tiefen Vertrauen in mir, dass oben die Sicht besser wird. Keine Stunde später spüre ich die ersten Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht. Das Herz wird weit, mein Körper erwärmt sich und ich spüre ein Gefühl von Verbundenheit mit der Natur. Ich bin am richtigen Weg. Am Weg in die Sonne.

Wir erreichen eine Hütte am Weg und mein Partner meint, dass wir doch hier Pause machen könnten. Etwas in mir will aber weiter hinauf, will Ausblick haben, über den Nebel blicken und ganz mit mir sein. Ich gehe ein Stück weiter hinter die Hütte hinauf und finde einen Platz für mich.

In diesem Moment fragt sich etwas in mir "Was macht dich hier freier zu atmen als unten?" Ich spüre wie ich tiefer Einatme und Ausatme, tief bis in den Bauch. Was macht der Nebel mit mir? Hermann Hesse schreibt in seinem Gedicht "Im Nebel":

"Seltsam, im Nebel zu wandern!

Einsam ist jeder Busch und Stein,

Kein Baum sieht den andern,

Jeder ist allein."

Aber stimmt denn das? Sind wir alleine, nur weil wir durch den Nebel nicht so viel sehen. Wäre es nicht eine wohltuende Umkehrung zu sagen, besonders wenn Nebel da ist, ist man sich selbst näher, weil um einen nicht mehr so viel sichtbar ist. Und dann würde das vielleicht auch eine positive Sicht auf das Wort allein geben. Ich biete Hesse eine Änderung des Wortes an: Jeder ist mit sich.

Ich stehe mit mir oberhalb des Nebels und spüre, dass auch ich mehr mit mir verbunden bin, wenn ich klarer sehe. Vorhin noch im Nebel, fühlte ich mich wohl auch alleine. Also ganz so einfach ist es doch nicht. Hm... Ich biete Hesse statt ein neues Wort ein Zeichen an: Jeder ist all-ein.

Das fühlt sich stimmig an, denn war ich doch vorher auch mit dem Nebel verbunden. All-ein. Hier in der Sonne fühle ich eine andere Verbundenheit. All-ein.


Ich stehe oberhalb der Hütte und blicke weiter aufwärts durch die Bäume zum Gipfel. Wir gehen weiter. Mein Partner vor mir, der die letzten Meter zum Gipfel plötzlich meint "Ja schau da oben ist jemand vor uns." Ich sehe den kleinen Körper am Gipfel oben durch den Schnee stampfen und spüre, dass das Tempo für mich zu schnell wird und werde langsamer, finde mein Tempo. Ich blicke immer wieder nach unten und bewundere den Übergang vom Nebel. Wie sanft er doch wirkt und wie stark er in mir wirkte. Seltsam. Ja Hesse, seltsam.

Am Gipfel angekommen legen wir eine Jausenrast ein. Der Foodcontainer mit Kaspressknödelsuppe, die ich am Morgen noch gekocht habe, wird ausgepackt und wir schlemmen das warme Essen mit Blick über die Berge. Auch wenn der Wind bläst, erwärme ich mich mit dem Essen von Innen. Doch zu lange Pausieren ist trotzallem nicht fein und wir beschließen weiter zu gehen. Ein Stück auf den Skiern hinunter und dann fellen wir ab. So der Plan. Nur das Leben will es anders. Ich rutsche den Rücken des Gipfels hinunter und sehe plötzlich ein schwarzes Loch im Schneeboden. Ich bleibe stehen. In mir Angst, weil ich nicht sehe wohin es geht. Mein Herz klopft und ich spüre kurz Schwindel und Panik, dass mich etwas in dieses Loch zieht. Im selben Moment greife ich mir ans Herz und es laufen mir Tränen über die Wangen. Ich weiß nicht was los ist, bin aber ganz bei mir. Mein Partner weiter vor mir hält an und fragt, was denn los sei. Ich kann nicht sprechen. Ich atme ein, ich atme aus. "Wo spürst du jetzt was?" fragt eine Stimme in mir. Meine rechte Hand ist noch immer auf der Brust. Ich spüre mein Herz. Als ich meine Tränen von der Wange wische, nehme ich wieder alles um mich wahr.

"Dieses Loch hat gerade etwas ganz Unangenehmes in mir erzeugt" sage ich zu meinem Partner. Ich gehe auf ihn zu und erkläre, dass ich darüber jetzt nicht sprechen kann. Wir gehen langsam weiter. Vor der geplanten Abfellstelle mache ich eine Pause in der Sonne und sammle mich. Ich brauche die Pause jetzt.

Dieses schwarze Loch. Diese Dunkelheit. Schreibt nicht auch Hesse davon?


"Wahrlich, keiner ist weise,

Der nicht das Dunkel kennt,

Das unentrinnbar und leise

Von allen ihn trennt."


Ja, ich fühlte mich getrennt. Aber dennoch war ich es eigentlich nicht. Vielmehr die Angst trennte mich. Nun hier in der Sonne, im Licht fühle ich mich wieder verbunden mit mir. Ich verabsäume meinem Partner wahrlich zu zeigen, was vorhin in mir los war. Ein Fehler der Vernunft, dass Gefühle hier am Berg nicht Platz haben dürfen? Aber bin ich doch Mensch...

Mein Partner nimmt die objektiven Risiken einer Skitour wahr und rät, dass wir nicht zu lange hier bleiben sollen, da der Schnee schon recht nass und aufgewärmt ist. Ich sage nur, dass ich noch ein paar Minuten brauche. Etwas in mir möchte sitzen bleiben, die Sonne untergehen sehen. Doch ich handle rational: Ich felle ab, packe Helm und warme Jacke aus, mache mich zur Abfahrt bereit. Der Weg runter fällt mir schwer. Wieder hinein in den Nebel.

Nun, Tage später und mit einer gewissen Distanz versuche ich die Erfahrung zu integrieren, ein klares Gefühl zu bekommen. Was macht der Nebel mit mir, was macht die Dunkelheit mit mir. Was macht die Sonne mit mir, was macht die Helligkeit mit mir. Was machte der Anblick des schwarzen Schneelochs in mir und mit mir?

Womöglich gehören sie alle in mir zu mir, weil ich nicht getrennt bin von allem was um mich ist. Doch ein Hinsehen ist oft gar nicht so einfach. Nicht zu wissen was kommt, wie etwas in mir reagieren wird.


Kontrolle. Verlust dieser Kontrolle. Angst. Vertrauen.


Dennoch war bei all der Erfahrung immer etwas da in mir, das immer ist. Egal wie dunkel, egal wie nebelig: Das Licht ist immer da. Wenn ich dieses Licht in mir spüre, dann kann mir eigentlich auch ein schwarzes Loch keine Angst mehr machen...oder doch? Ich weiß es nicht. Ich muss es auch nicht wissen. Was ist schon Wissen...

Jetzt, danach, bin ich hier.

Die Erfahrung hat mir etwas aufgezeigt, das in mir ist.


Vielleicht ist diese Erfahrung ein Teil am Weg die Lebenskunst zu erlernen, das alles Erfahrungen sind, die mich mehr mit dem Licht in Kontakt bringen, das in uns allen innewohnt.

Und damit auch ein Erinnern, dass alles um uns nicht getrennt ist von uns: Nebel, Dunkelheit, Sonne, Helligkeit. Schwarze Löcher. Wir sind verbunden.

Ich. Wir. All-ein.


Lichtvolle Grüße,

Isabell


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